Acrylamid

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Acrylamid gehört zur chemischen Gruppe der Amide, ist wasserlöslich und wird u.a. für die Farbstoffherstellung oder in der Abwasseraufbereitung verwendet.1

Herstellung

Acrylamid ist eine Prozesskontaminante, die unbeabsichtigt bei der Verarbeitung oder Zubereitung von Lebensmitteln entsteht. Ursache für die Acrylamidentstehung ist die sogenannte Maillard-Reaktion.2 Die Maillard-Reaktion (benannt nach dem Chemiker Loius Camille Maillard) ist eine nicht-enzymatische Bräunungsreaktion. Hierbei werden Aminosäuren und reduzierende Zucker unter Hitzeeinwirkung zu neuen Verbindungen umgewandelt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Karamelllisation, beide Reaktionen können aber gemeinsam auftreten.3 Die dabei entstehenden charakteristischen Aroma- und Röststoffe kommen in vielen Lebensmitteln vor, z. B. in Pommes Frites, Kaffee, Knäckebrot oder gebratenem Fleisch. Die Temperatur und die Dauer des Erhitzens haben einen Einfluss auf die Acrylamidentstehung. Ab Temperaturen von 120°C wird Acrylamid gebildet. Mit steigenden Temperaturen nimmt die Entstehung des Stoffes weiter zu.4 Neuere Studien zeigen außerdem, dass Acrylamid auch unter physiologischen Bedingungen im Körper selbst gebildet werden kann.5

Vorkommen und Aufnahme in den Körper

Acrylamid ist in einer Vielzahl alltäglicher Lebensmittel zu finden, deshalb sind alle Verbraucher von den möglicherweise gesundheitsgefährdenden Eigenschaften dieser Substanz betroffen. Ein Grenzwert, bis zu dem eine Acrylamidaufnahme unbedenklich ist, lässt sich nicht festlegen. Aufgrund der möglicherweise erbgutverändernden und krebserregenden Eigenschaften von Acrylamid muss davon ausgegangen werden, dass theoretisch jede Dosis eine gesundheitsschädigende Wirkung haben kann.4

Gesundheitliche Bewertung

Acrylamid wurde von schwedischen Forschern erstmals 2002 in Kartoffelchips, Pommes Frites, Röst- und Backkartoffeln, Brot und Backwaren nachgewiesen.6 Nach Bekanntgabe der Acrylamide-Gehalte in Lebensmitteln entwickelten die deutsche Lebensmittelwirtschaft und die deutschen Behörden noch im Jahr 2002 das sogenannte „Signalwertkonzept“ – eine dynamische Minimierungsstrategie der unerwünschten Gehalte von Acrylamid in bestimmten Lebensmitteln.7 Die Grundlage für die erfolgreiche Reduzierung der Acrylamid-Gehalte im Rahmen des Signalwertkonzeptes bildeten die Acrylamid-Gehaltsdaten aus der amtlichen Lebensmittelüberwachung und der Lebensmittelwirtschaft. Vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - BVL wurden aus diesen Daten jährlich Signalwerte für unterschiedliche Produktgruppen berechnet und dann wurden Lösungsansätze zur Reduzierung von Acrylamid gesucht.8 In einer gemeinsamen Initiative des Forschungskreises der Ernährungsindustrie e.V. - FEI und des Lebensmittelverband Deutschland (ehemals Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V.) wurde ein Gemeinschaftsforschungsprojekt konzipiert, das als das bis dahin größte Vorhaben der Industriellen Gemeinschaftsforschung gilt. Dabei standen folgende Kriterien im Mittelpunkt der Forschungsarbeiten:

  • Entstehungsmechanismen und ihre Beeinflussung,

• verbesserte Analytik und toxikologische Bewertung, • lebensmitteltechnologische Minimierungsmöglichkeiten und nicht zuletzt • neue gerätetechnische Lösungen. Die stufenweise Anpassung der Signalwerte innerhalb des dynamischen Minimierungskonzeptes führte in den Folgejahren zu einer deutlichen Absenkung der Acrylamid-Gehalte in den Warengruppen „Feine Backwaren aus Mürbeteig“, „Frühstückscerealien ohne Müsli“, „gerösteter Kaffee“, „Kartoffelchips“, „Kleinkindergebäck“, „Diabetikerbackwaren“ und „Spekulatius“. Es zeigten sich jedoch auch die Grenzen des Konzepts bei einzelnen Produktgruppen. Eine Reduzierung der Acrylamid-Gehalte auf null ist nicht realistisch, da die Vorstufen des Stoffes natürlich in den Rohstoffen vorkommen und die thermische Behandlung der Lebensmittel aufgrund hygienischer, aber auch sensorischer Aspekte, unverzichtbar ist.9 In der Stellungnahme des Bundesinstitut für Risikobewertung - BfR vom 29.06.2011 wird dargelegt, dass Acrylamid Erbgut veränderndes und Krebs erzeugendes Potenzial hat, aber keine sichere Verzehrmenge abgeleitet werden kann.10 Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit - EFSA hat in ihrer im Juni 2015 veröffentlichten Risikobewertung zu Acrylamid darauf hingewiesen, dass die Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln, trotz der umfassenden Bemühungen der Lebensmittelwirtschaft, weiter abgesenkt werden sollten. Danach wurden auf europäischer Ebene Arbeiten aufgenommen, um die Verbindlichkeit des bewährten Minimierungskonzepts zu erhöhen.11 Inzwischen geben die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse Anlass dazu, die Genotoxizität von Acrylamid anzuzweifeln.12 Im Ergebnis dieser Arbeiten wurde am 21. November 2017 die Verordnung (EU) 2017/2158 „Zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehaltes in Lebensmitteln“ veröffentlicht, die seit 11. April 2018 in allen Mitgliedstaaten gilt.13 Mit dieser Verordnung, die das Acrylamidmanagement im europäischen Hygienerecht verankert, beschreitet die Europäische Kommission einen neuen Weg im Umgang mit Prozesskontaminanten in Lebensmitteln. Es wurde ein Leitfaden zur Umsetzung der Verordnung der Kommission ausgearbeitet, um eine harmonisierte Anwendung und Durchsetzung in der gesamten EU zu gewährleisten.14 Die Bildung von Acrylamid ist komplex und an unterschiedliche Ausgangsbedingungen und vielfältige Einflussfaktoren gekoppelt. Die Überprüfung der Richtwerte erfolgt derzeit auf europäischer Ebene. Ob daraus Vorschläge zu geänderten Höchstgehalten abgeleitet werden, ist derzeit noch unklar. Es geht bei der Minimierung von Acrylamid in Lebensmitteln aber auch um den Erhalt der Produktvielfalt und die Folgenabschätzung hinsichtlich der Festlegung von Höchstgehalten. Daneben müssen Wechselwirkungseffekte mit in die Überlegungen mit einbezogen werden, denn die Reduktion von Acrylamid führt in bestimmten Lebensmittel zu einem Anstieg anderer unerwünschter Stoffe und Prozesskontaminanten.